- Hungerkrankheiten
- Hungerkrankheiten,durch extreme Unterernährung besonders infolge ungenügender Zufuhr proteinhaltiger Nahrungsmittel hervorgerufene Erkrankungen. Der Hungerzustand bewirkt eine charakteristische Veränderung des Stoffwechsels (Hungerstoffwechsel, Hunger) mit Abbau der Energiereserven, Leistungsverminderung, schließlich Auszehrung (Kachexie) und Organschäden mit Todesfolge im Endstadium. Zunächst werden die geringen Kohlenhydratvorräte (v. a. Leberglykogen) verbraucht, nach deren Erschöpfung treten als Anzeichen des Glucosemangels durch eine unvollständige Fett- und Proteinverbrennung Ketonkörper (Aceton, Acetessigsäure, β-Hydroxybuttersäure) in Blut und Harn auf (Hungeracidose). Im weiteren Verlauf wird das Depotfett, schließlich auch das Körperprotein abgebaut (täglich 50-70 g), wobei Skelettmuskulatur, Leber, Milz, Blut, Knochengewebe (Hungerosteopathie) sowie exokrine und endokrine Drüsen am stärksten betroffen sind, weniger dagegen die lebenswichtigen Organe (Zentralnervensystem und Herz). Das Strukturprotein der Zellen wird erst kurz vor dem Tod in stärkerem Ausmaß angegriffen. Neben der Auszehrung (Marasmus) kommt es durch Proteinmangel im Blut, von dem besonders Albumin betroffen ist, zur Ansammlung proteinarmer Gewebeflüssigkeit im Unterhautgewebe (Hungerödeme) und Bauchwassersucht. Die Abnahme der Immunglobuline führt zu einer Immunschwäche mit Häufung von Furunkulose-, Tuberkulose- und Viruserkrankungen. Die Störung des Hormonhaushalts bewirkt ein Erlöschen von Libido und Potenz, bei Frauen bleibt die Monatsblutung aus. Der Kreislauf kann so geschädigt sein, dass es im Stehen zu Schockzuständen kommt. Außer dem Proteinmangel ruft das Fehlen von Fett, Vitaminen und Mineralstoffen eine Beeinträchtigung nahezu sämtliche Organfunktionen (Hungerdystrophie) einschließlich Temperaturregelung, Wasserhaushalt und Blutbildung hervor. Mit den körperlichen Symptomen ist oft eine Minderung der psychischen Widerstandskraft verbunden, bei Kleinkindern wird die geistige Entwicklung bleibend gestört. Die Behandlung besteht in einer langsam aufbauenden Ernährung, unterstützt durch Infusionen.Die Hungerkrankheiten gehören als Folge von Mangel- und Fehlernährung zu den häufigsten Gesundheitsbeeinträchtigungen in den Entwicklungsländern; eine Variante stellt das Kwashiorkor bei Proteinmangel und Kohlenhydratüberschuss dar. In den Industrienationen treten Hungerkrankheiten allenfalls noch im Zusammenhang mit konsumierenden Krankheiten (v. a. Krebs) und Störungen der Nahrungsverwertung (Säuglingsdyspepsie, Durchfall) auf.
Universal-Lexikon. 2012.